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Pit Clausen ist seit mehr als zehn Jahren Bielefelder Oberbürgermeister. Welche Entscheidungen er aus dieser Zeit bereut, welche Pläne er für die Zukunft der Stadt hat und was er von der aktuellen SPD-Spitze hält, verrät er im Grundrauschen-Interview.

Warum sind Sie ein guter Oberbürgermeister für Bielefeld?

Weil ich ein Oberbürgermeister bin, der vor Herausforderungen und Schwierigkeiten nicht kneift. Und, weil ich verstehe, wie man eine hochkomplexe Organisation wie die Stadt Bielefeld zielgerichtet führen kann. Außerdem vertrete ich die Stadt selbstbewusst und modern. Etwas, was Bielefeld auch genau so verdient hat.

Sie sind kein gebürtiger Bielefelder, sondern haben Ihre Wurzeln in Düsseldorf. Warum sind Sie damals nach Bielefeld gezogen?

Nach dem Abitur habe ich zunächst meinen Grundwehrdienst geleistet und wollte dann Jura studieren. Damals hat noch niemand von Digitalisierung gesprochen und so habe ich vom Arbeitsamt nur eine lose Blattsammlung bekommen, in der Informationen zu möglichen Studienorten enthalten waren.

Die Uni-Bielefeld bot damals, als einzige Universität in NRW, die sogenannte „einphasige Juristenausbildung“. Viel mehr wusste ich von der Stadt nicht und ich kannte hier auch niemanden. Da ich aber unbedingt in diesem Modell studieren wollte, kam eben nur Bielefeld für mich in Frage.

Und was hat Ihnen dann an Bielefeld so gut gefallen, dass Sie geblieben sind?

Ich habe in Bielefeld ganz schnell Freundschaften geschlossen und mich dann auch mal verliebt. Nach den sechs Jahren Studium hatte ich hier dann viele enge Bindungen, die ich nicht mehr verlieren wollte.

„Es gab politische Entscheidungen, die ich mit dem heutigen Wissen anders treffen würde.“

Sie sind jetzt seit 2009 Oberbürgermeister. Haben Sie in dieser Zeit Entscheidungen getroffen, die Sie heute bereuen?

Es gab politische Entscheidungen, die ich mit dem heutigen Wissen anders treffen würde. Ein Beispiel ist die Schließung des Freibades in Bielefeld-Gadderbaum. Wir haben uns damals sehr auf die Sanierung des Haushaltes konzentriert und wollten keine Millionen in den Umbau des Freibades stecken.

Außerdem ging man davon aus, dass die Einwohnerzahl aufgrund der demografischen Entwicklung sinken würde und man so auch weniger Freibäder benötigt. Diese Entscheidung wurde durch ein Bürgerbegehren gekippt. Da würde ich heute sagen: Die Bürger hatten den richtigen Riecher. Denn die Bevölkerung ist entgegen aller Vorhersagen gewachsen und entsprechend hoch ist eben auch der Bedarf an modernen Freibädern.

Ein ähnliches Beispiel sind die Grundschulschließungen, die wir bis vor sechs Jahren noch verfolgt haben. Auch hier hieß es, dass die Schülerzahlen sinken würden und künftig eben weniger Grundschulen nötig seien. Jetzt werden wir in den nächsten Jahren zwei bis drei neue Grundschulstandorte eröffnen, um den steigenden Schülerzahlen gerecht zu werden.

Was heute in der Politik richtig erscheint, kann also schon morgen falsch sein. Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern ist der großen Dynamik geschuldet, die wir in unserer Gesellschaft haben. Willy Brandt hat mal gesagt, „Jede Zeit will ihre eigenen Antworten“. Das stimmt.

Was war denn aus Ihrer Sicht bisher der größte Erfolg in Ihrer Zeit als Oberbürgermeister?

Herausragt, dass ich am 11. Mai 2012 einen Vertrag über mehr als 200 Millionen Euro zum Rückkauf der Stadtwerke unterschrieben habe. Das werde ich sicher nie vergessen, denn auf diesen Moment haben wir lange hingearbeitet.

Es waren unglaublich anstrengende Verhandlungen, dass Projekt hochkomplex und selbst wenige Tage vor der Vertragsunterzeichnung mussten wir noch Detailfragen klären. Als der Vertrag endlich unterzeichnet war, war das ein richtiges „Taschakka-Gefühl“.

Die Entscheidung war goldrichtig. Denn wir konnten den Kaufpreis schon aus den Mehrerlösen der Stadtwerke bezahlen. Die Stadtwerke sind aber vor allem der wichtigste Infrastrukturdienstleister. Sie liefern uns sicher und zu vernünftigen Preisen Energie, Wasser, Gas, Wärme und auch schnelles Internet. Vor allem die Energiesicherheit ist wichtig. Denn ein Blick in die USA oder Australien genügt, um zu sehen, was passiert, wenn Versorgungsengpässe auftreten. Dank der Stadtwerke haben wir diese Sorgen nicht.

In Bielefeld wird viel über fehlenden sozialen Wohnraum gesprochen. Warum ist da in den vergangenen Jahren so wenig passiert?

Da sind wir wieder beim Thema Demografie. Bis 2016 haben die Prognosen vorausgesagt, dass die Einwohnerzahl schrumpfen wird. Das hat dazu geführt, dass die Akteure am Wohnungsmarkt eher in die Modernisierung investiert haben – und nicht in den Bau neuer Kapazitäten.

Erst nach 2016 hat da ein Wandel stattgefunden. Wir haben dann 2017 die ersten Strategien entwickelt, um Einfluss auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes zu nehmen. Eine Maßnahme war der Beschluss einer 25-Prozent-Quote für geförderten Wohnraum in allen neu ausgeschriebenen Bebauungsplänen.

Ein anderer Schritt war ein Projekt, mit dem alle Flächen in Bielefeld gescannt wurden, um nach Erweiterungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Ein weiteres Thema für uns war die Nachverdichtung im inneren Stadtbau. Hier haben wir geschaut, wo wir Häuserreihen anschließen oder obendrauf setzen können.

Kürzlich haben wir außerdem eine sogenannte „Baulandstrategie“ ins Leben gerufen – im Übrigen gegen den heftigen Widerstand von Herrn Nettelstroth (CDU). Diese Strategie führt nicht zu mehr Wohnraum, wohl aber zu einer Preisdämpfung auf dem Wohnungsmarkt. Sie sehen: Wir drehen an vielen verschiedenen Schrauben, die etwas bewirken. Einfache Antworten gibt es hier aber nicht.

Mal angenommen, Sie würden nicht wiedergewählt werden. Was wäre Ihr Plan B?

Ich habe keinen. Ins Richteramt kann ich nicht zurückkehren. Als ich damals das erste Mal gewählt wurde, musste ich mich vom Richteramt – das ja ein Amt auf Lebenszeit ist – suspendieren lassen.

Ein Beraterposten bei Tönnies käme nicht in Frage?

Nein, ganz sicher nicht.

Kommunalpolitik hat den Ruf, eher etwas langweilig zu sein. Würden Sie nicht manchmal lieber im Bundestag sitzen?

Im Gegenteil. Kommunalpolitik ist die Königsdisziplin! Wir Kommunalpolitiker gestalten tatsächlich vor Ort und reden nicht nur darüber. Wir haben hier großen Einfluss auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger und stehen auch im Kreuzfeuer, wenn einmal etwas schief geht. In Berlin ist man dann im Zweifelsfall schön weit weg.

Außerdem: Kommunalpolitik ist ganzheitlich. Wir sind hier zuständig für alle Aspekte des Lebens – von der Wiege bis zur Bahre. Nirgendwo sonst hat man so einen direkten Kontakt zum Wähler. Das wird sich in den nächsten fünf Jahren noch intensivieren, denn nun können wir die Früchte der gelungenen Haushaltssanierung ernten. Ich kann wieder Kredite aufnehmen für dringend notwendige Investitionen aufnehmen. Das ist der erste Satz in einem neuen Kapitel der Stadtgeschichte, das ich gerne schreiben möchte.

Der Treppenplatz in Brackwede, der Kesselbrink und neuerdings auch der Park an der Kunsthalle: In Bielefeld haben wir mittlerweile viele Orte an denen offen mit Drogen gehandelt wird oder an denen es zu Massenschlägereien kommt. Wie wollen Sie das Sicherheitsgefühl der Menschen wieder verbessern?

Wenn man sich die Kriminalitätsstatistiken anschaut, ist Bielefeld nach wie vor eine der sichersten Großstädte. Es stimmt aber auch, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen dem nicht entspricht. Wir nehmen das Thema Sicherheit daher sehr ernst.

Da wo wir problematische Plätze haben, sind wir beobachtend und eindämmend unterwegs – immer in Absprache mit der Polizei. Mittlerweile sind auch 90 Außendienstkräfte unterwegs. Das sind 65 mehr als im vergangenen Jahr. Das hat etwas mit Corona zu tun, aber nicht nur. Das ist eine Maßnahme. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir möchten nicht, dass die Polizei problembehaftete Personen vertreibt, denn dann verlagert sich das Problem nur von einem Ort zum anderen.

Außerdem versuchen wir durch bauliche Maßnahmen, wie eine bessere Beleuchtung, für mehr Sicherheit zu sorgen. Und natürlich sind unsere Sozialarbeiter unterwegs, die gezielt bestimmte Personengruppen ansprechen und ihre Unterstützung anbieten.

Als Lokalpolitiker haben Sie das Glück – oder das Pech – das die Bundespolitik auch auf die Kommunalpolitik abstrahlt….

Sie meinen, dass Bild der SPD ist auf Bundesebene so schlecht…(lacht).

Es könnte sicher besser sein. Ich würde zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass der nächste Bundeskanzler von der SPD gestellt wird.

Ich – mit dem Stand heute – auch nicht. Aber es ist ja noch etwas Zeit (lacht).

Sind Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dann überhaupt die richtigen Parteivorsitzenden?

Die SPD hat die beiden zu den Parteivorsitzenden gewählt. Ob man das Ergebnis nun gut findet oder nicht, ist dann erstmal zweitrangig. Das ist Demokratie.

Was müsste denn passieren, damit die SPD auch auf Bundesebene wieder Wahlen gewinnen kann?

Ich glaube, das lässt sich nicht an einzelnen Personalentscheidungen festmachen. Die aktuellen Umfragewerte zeigen eher, dass die SPD in der Meinung vieler Menschen ein Stück weit ihre Bodenhaftung verloren hat. Wir müssen also in der Königsdisziplin Kommunalpolitik anfangen und hier zeigen, was wir den Menschen anbieten können. Wenn wir das gut machen und uns wirklich kümmern, lässt sich das auch auf Landes- und Bundesebene hochbeamen.

Beneiden Sie die CDU um Angela Merkel?

Ich bewundere Angela Merkel. Bisher durfte ich sie drei oder vier Mal persönlich treffen und muss sagen, dass ist wirklich eine klasse Frau und auch eine klasse Bundeskanzlerin. Auch wenn ich nicht in jedem Punkt mit ihr übereinstimme. Aber was sie leistet und wie sie das leistet, ist schon beeindruckend. Die SPD selbst hatte in der Vergangenheit ähnliche Gallionsfiguren wie beispielsweise den kürzlich verstorbenen Hans-Jochen Vogel. Wir haben aber in allen demokratischen Parteien Persönlichkeiten, die sich ehrlich engagieren, Vorbild sein können und das Land voranbringen. Das ist eine ganz große Stärke des deutschen Parlamentarismus, um das uns viele Länder beneiden.

Zurück zu Bielefeld: Was ist Ihrer Meinung nach eine unterschätzte Qualität der Stadt?

In Bielefeld bekommen Sie alles, was Sie von einer modernen Großstadt erwarten können. Und das eingerahmt in den wunderbaren Teutoburger Wald. Diese Kombination aus Großstadt und Natur ist etwas, was das Lebensgefühl in dieser Stadt ausmacht.

Mal angenommen, Sie müssten bei Ihren Entscheidungen auf keinen Stadtrat Rücksicht nehmen. Welche Maßnahme würden Sie sofort umsetzen?

Das käme gar nicht in Frage, denn der Oberbürgermeister ist nicht der König. Der Oberbürgermeister ist der gewählte Repräsentant der Bürgerschaft und muss dieser Rechenschaft ablegen. Zum Glück, denn im Absolutismus möchte ich nicht leben.

Herr Clausen, ich danke Ihnen für das Interview.